Am Dienstag, den 30.6.2009 entscheidet das Bundesverfassungsgericht über den Lissabon Vertrag und brisanterweise über ihre eigene Machtkompetenz.
Hier einige Informationen zum Lissabon Vertrag:
PRÄSIDENT: Ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Präsident soll der EU Gesicht und Stimme geben und für mehr Kontinuität in der Politik sorgen. Bislang wechseln sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs alle sechs Monate auf dem Chefsessel ab.
AUSSENPOLITIK: Die Kompetenzen des EU-Außenbeauftragten (derzeit der Spanier Javier Solana) werden aufgewertet. Er erhält einen sogenannten “Doppelhut“: Zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben soll er auch die des EU-Außenkommissars (derzeit eine Kommissarin, die Österreicherin Benita Ferrero-Waldner) übernehmen und Vizepräsident der Kommission werden. Als offizieller Titel wurde “Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ festgelegt.
VERKLEINERUNG DER EU-KOMMISSION: 2014 wird die EU-Kommission schlanker. Während gegenwärtig alle 27 EU-Länder ihren eigenen Kommissar haben, werden dann nur noch zwei Drittel der Mitgliedstaaten in der Brüsseler Behörde vertreten sein. Ein Rotationsprinzip soll sicherstellen, dass alle Staaten die gleiche Chance haben, einen Kommissar nach Brüssel zu entsenden.
EU-PARLAMENT: Auch das Europaparlament soll kleiner werden: Statt 785 wird es nur noch 750 Sitze zählen.
WENIGER VETOS: Derzeit sind Beschlüsse in vielen Politikbereichen nur möglich, wenn die EU-Staaten Einstimmigkeit erzielen. Künftig sollen Mehrheitsentscheidungen die Regel sein, damit nicht länger ein einzelner Mitgliedstaat alle übrigen 26 blockieren kann.
STIMMENVERTEILUNG IM MINISTERRAT: Zum 1. November 2014 wird ein neues Abstimmungssystem eingeführt, das die Bevölkerungsstärke der EU-Staaten mehr berücksichtigt. Für einen Beschluss wird die Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedstaaten nötig sein, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten müssen. Während einer Übergangsphase bis zum 31. März 2017 kann jeder einzelne EU-Staat aber bei einer unliebsamen Entscheidung verlangen, die Abstimmung nach dem bisher gültigen System des Vertrags von Nizza zu wiederholen. Auch noch nach 2017 können die Verlierer einer Abstimmung unter bestimmten Bedingungen eine Verlängerung der Verhandlungen einfordern.
BÜRGERBEGEHREN: Wenn eine Million EU-Bürger per Unterschriftenliste zu einem bestimmten Problem ein Gesetz verlangen, muss die Kommission tätig werden.
GRUNDRECHTE: Die bereits Ende 2000 unterzeichnete EU-Charta der Grundrechte soll mit dem neuen Vertrag rechtsverbindlich werden. Für Polen und Großbritannien gibt es Ausnahmen.
Bei der Entscheidung der Verfassungsrichter wird es um 2 Kernfragen gehen:
– ob die Übertragung weiterer Machtbefugnisse an die Europäische Union das deutsche Demokratieprinzip und das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt. Den Klägern zufolge führt der Vertrag zu einer schleichenden Kompetenzverlagerung hin zur EU, die etwa über die sogenannte Flexibilitätsklausel den deutschen Gesetzgeber immer mehr verdrängen könnte. Diesem Problem hatten die Richter am zweiten Tag der mündlichen Verhandlung viel Zeit eingeräumt und erörtert, ob der Bundestag womöglich zuviel Macht und Gestaltungsspielraum gegenüber Brüssel verliert.
– ob die Karlsruher Richter hinnehmen werden sich künftig dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unterwerfen zu müssen oder weiterhin nationaler Hüter der demokratischen Grundordnung sind: In einer verklausulierten „Erklärung“, die dem Vertrag angehängt ist, wird dem EU-Recht „im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung“ des EuGH Vorrang vor der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten eingeräumt.
Solch eine Entmündigung dürfte das Bundesverfassungsgericht wohl kaum hinnehmen. Das ergibt sich auch aus mehreren Entscheidungen des Gericht in der Vergangenheit. Bereits in seinem Urteil von 1993 zum Vertrag von Maastricht bezeichnete es die Aufgabenverteilung zwischen ihm und dem EuGH zur Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht in Deutschland selbstbewusst als „Kooperationsverhältnis“.